Die Geschichte des Speiseeises

 
Es war eine kalte Winternacht, in der sich ein Bub in der amerikanischen Stadt San Francisco vor rund hundert Jahren ein Glas Limonade zubereiten wollte. Der 11-jährige Frank Epperson verrührte mit einem Holzstäbchen Brausepulver in einem Glas Wasser. Da sie schön kalt und erfrischend werden sollte, stellte er sie auf das Fensterbrett. Abgelenkt durch ein Spiel vergaß der Junge seine Limonade. Stunden vergingen, schließlich musste er zu Bett gehen. Erst am nächsten Morgen fiel ihm ein, dass sein Getränk noch immer draußen stand. Als er nun das Glas in den Händen hielt, war darin nur noch ein gefrorener Klumpen zu sehen. Erst durch die Wärme im Raum begann sich der Klumpen vom Glas zu lösen. Schließlich konnte Frank das Eis am Stiel herausziehen. Neugierig berührte er das Gefrorene mit seiner Zunge – es schmeckte ihm. Viele Jahre später, als Frank Epperson erwachsen war, meldete er sein Limonadenexperiment als Erfindung an. Das war die Geburtsstunde des Eislutschers. 1
Das Eis am Stiel ist zwar eine jüngere Erfindung, Speiseeis selbst gibt es jedoch schon viel länger. Angeblich haben bereits die großen Herrscher im alten China vor über 3000 Jahren aus Schnee, Milch und Früchten Eis hergestellt. Auch in Europa hat man schon vor 2000 Jahren Eis gegessen – natürlich nicht jeder, denn leisten konnten sich das nur Könige und Adlige. Alexander der Große (er lebte von 356-323 vor Christus) wollte seine Offiziere vor Schlachten besonders motivieren, indem er ihnen mit Honig, Früchten und Wein verfeinerten Schnee servieren ließ. Der amerikanische Präsident George Washington (1732-1799) war etwa 2000 Jahre später einer der ersten, der eine Eismaschine besaß. Bald wurde auch bei nachmittäglichen Empfängen und Festen der amerikanischen Präsidenten Eis serviert, sodass die gefrorene Nachspeise Einzug in die vornehme Gesellschaft hielt. 1851 öffnete die erste Speiseeisfabrik in der nordamerikanischen Stadt Baltimore. 2
Den Durchbruch für die industrielle Produktion1) von Speiseeis brachte jedoch Carl von Lindes Erfindung des Kühlschranks 1876. Doch bis zu dieser bahnbrechenden Neuerung mussten die Menschen ihre kalte Nachspeise noch umständlich kühlen. Dazu wurden im Winter aus  zugefrorenen Gewässern Eisblöcke geschnitten und in sogenannten Eiskellern aufbewahrt. Eis zum Mitnehmen, wie wir es heute kennen, hat sich von Italien aus verbreitet. Ausgewanderte Bergbauern aus den Dolomiten verkauften vor 150 Jahren in Großbritannien an kleinen, fahrbaren Ständen Eis in Pappbechern. Die Waffel wurde erst etwa 30 Jahre später erfunden. 3
In Deutschland hatten zwar viele Privathaushalte bis in die 1950er-Jahre keine Gefriertruhen, aber der Kiosk- und Straßenverkauf von Speiseeis blühte auch hier auf. Mit der Verbreitung elektrischer Tiefkühlschränke in den 1970er-Jahren war dann die technische Voraussetzung für den rasch wachsenden Eisabsatz geschaffen. Der Pro-Kopf-Verbrauch stieg bei uns in den vergangenen 40 Jahren von 1,5 Litern auf rund acht Liter Speiseeis im Jahr. Nichts im Vergleich zu den Amerikanern, die durchschnittlich ganze 26,4 Liter jährlich essen! 4
Wenn es so richtig heiß wird, steht Eis sogar für die Tiere im Zoo gelegentlich auf dem Speiseplan. Im Londoner Tierpark ist das Eisangebot besonders groß: Während die Pinguine Fischeis bevorzugen, lieben Tiger und Löwen offenbar Rosmarin-Gefrorenes. Affen und Bären kauen mit Vorliebe Eis mit Apfel-, Birnen- oder Orangengeschmack. Eis am Stiel, wie es Frank Epperson erfand, essen im Londoner Zoo aber weiterhin – nur die Menschen! 5

1 industrielle Produktion: Herstellung in größeren Mengen und mithilfe von Maschinen → zurück